Systematisch dumme Selektion: Warum wir nicht die besten Mediziner_innen haben, die wir haben könnten

Frau A. Will Ärztin werden. Ihr Abi-Schnitt genügt dem Nummerus Clausus nicht. Daher macht sie eine Ausbildung zur Krankenschwester, arbeitet in ihrem Beruf und wartet Jahr für Jahr um Wartesemester anzusammeln. Etwa 16 sind nötig, um auch ohne entsprechenden top-Notenschnitt Medizin studieren zu können.

Dann kommt Frau W. Frau W ist Ärztin. Sie befasst sich mit einer Studienreform für das Fach Medizin. Ihrer Beobachtung nach schaffen Menschen wie Frau A das Studium nicht. Sie sind „zu lange aus der Schule raus“ und kommen mit den chemischen und physikalischen Aspekten des Studiums nicht zurecht. Deshalb sollte die Zulassung über Wartesemester völlig abgeschafft werden.

Damit werden dann nur noch Menschen Ärzt_inn, die eben schon in der Schule hervorragend Säuren pipettieren und Magnetfeldlinien zeichnen können. Fähigkeiten, die sich nicht mit Schulnoten betiteln lassen wie etwa Empathie, Resilienz, und alle Schattierungen der Sensibilität und Risikomanagement spielen keine Rolle bei der Auswahl der angehenden Medizinner_innen. Dies geschieht willentlich und wissentlich, gerade wenn man die bislang bestehenden Mechanismen weiter verschärft um diejenigen, die bislang in der Pflege und im Rettungsdienst gearbeitet haben, systematisch auszuschließen.

Dabei macht es doch gerade Sinn, diese Menschen weiter auszubilden. Typischerweise mögen wir besonders die Dinge, in denen wir auch gut sind. Halbwegs zumindest. Und sie müssen die Pflege und Rettung schon mögen und gut sein, um 16 Semester damit zu verbringen.

Nein nein würde Frau W jetzt entgegnen. Sie würde wieder ihr Argument vorbringen und wir drehen uns im Kreis. Wenn Menschen wie Frau A im spät aufgenommenen Medizinstudium scheitern, dann ist der Grund nicht, dass chemische Inhalte zu schwierig sind, sondern weil das Studium und die Vergabe der Plätze scheiße ist. Wenn es wichtiger ist, das Quanten-Modell des Atoms zu kennen als ein gebrochenes Bein zusammenflicken zu können, dann ist das Studium nicht korrekt ausgerichtet.

Und dieses Problem erhält sich selbst am Leben. Nur Menschen, die den klassischen Weg durchlaufen haben, entscheiden wer es als nächstes tut. Und WEIL sie den Weg durchlaufen haben unter den Bedingungen und mit den Voraussetzungen, die dies eben möglich gemacht haben, werden sie alles tun, um Löcher zu stopfen, wie es auch anders gehen könnte.

Frau W. Kann nicht begreifen, dass ihre Beobachtung ein Zirkelschluss ist. Sie kann nicht begreifen, dass Frau A. Wohl eine famose Ärztin geworden wäre, hätte man ihr nur die Chance gegeben. Dieses verkrüppelte Auswahl – und Ausbildungswesen bringt uns Mediziner ein, die gute Abinoten hatten und auch weiterhin zuverlässig Bedingungen erfüllen. Es bringt und mit Sicherheit nicht die besten Mediziner ein, die wir haben könnten. Uns trifft das doppelt: Zum einen sind junge Menschen um ihren Lebenstraum gebracht und wir um hervorragenden Ärzt_innen die wir uns doch alle wünschen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.